Pandemische Lage: Zeit zum Durchregieren

in Deutsch D-A-CH3 years ago

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Im abendländischen Westen sagen sie gern, dass in China das Wort für Krise gleich dem Wort für Chance ist. Und sie halten sich dran, denn große Krisen sind immer die besten Momente, um große Entscheidungen zu fällen, ohne dabei beobachtet zu werden. Was in gewöhnlichen Zeiten notdürftig im Schatten von Fußballendspielen, wegweisenden Vorrundenbegegnungen bei großen Meisterschaften oder aber einfach tief in der Nacht versteckt werden muss, wenn niemand mehr zum Mondscheintarif telefoniert, kann in Zeiten der" pandemischen Lage von nationaler Tragweite" am hellerlichten Tage, vor aller Augen und ganz ungeniert beschlossen werden.

Nirgendwo Barrikaden

Wenn erst die Inzidenzwerte, die R-Zahlen und die nächste Lanz-Runde zum Thema Impfen über die Bildschirme flackert, interessiert es niemanden die Einführung einer unsichtbaren Schuldenunion, neue Überwachungsgesetze, die Ende der 80er Jahre Grüne, Rote, Anarchisten und Liberale auf dieselben Barrikaden gebracht hatten, der Staat sichert sich wie nebenbei den Zugriff auf die innersten Geheimnisse seiner Bürger und weil die Situation gerade günstig ist, schafft er sich das rechtliche Werkzeug an, um jeden Protest gegen sein Handeln künftig zum Schweigen bringen zu können.

So konsterniert, chaotisch und peinlich unprofessionell nahezu alles wirkt, was das politische Berlin und die Landesregierungen in einem Jahr Pandemie als "Eindämmungsmaßnahmen" hatten verkaufen wollen, so sicher leitete sie ihr Instinkt beim Nutzen der Chance, im Großen und Ganzen jetzt all die Dinge durchzuwinken, von denen man schon immer geträumt hat. Der Zusammenbruch der gewohnten Ordnung, ein Alltag, geprägt von Angst, Verunsicherung und medial geschürter Panik, das ist eine wunderbare Situation für alle, die mal richtig durchregieren und "gestalten" (Habeck) wollen.

Die Gelegenheit zum "Gestalten"

Wie damals, als die Finanzkrise es endlich erlaubte, Europa näher zusammenrücken zu lassen, indem alle Macht der gemeinsamen Zentralbank übertragen wurde, schlägt mit der Pandemie nun wieder eine Stunde der großen Gelegenheiten. Aus der mit Hilfe der EZB getarnten Schuldenunion wird auch offiziell eine, selbst die vor nicht einmal einem Jahrzehnt für alle Ewigkeit errichtete "Schuldenbremse" kann im Handumdrehen gelöst werden. Im Handstreich fallen die Grundrechte unter Impfvorbehalt, es gibt Ausgangssperren und Betretungsverboten, die Freizügigkeit im Bundesgebiet wird von kommunalen Behörden eingeschränkt, während auf der EU-Bühne der Ausnahmezustand gefeiert wird.

Genutzte Krise

"Es ärgert mich, dass Politiker diese Krise nutzen, um andere Anliegen unter dem Deckmantel Corona durchzusetzen", hat der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, hat die Kreditaufnahme der Bundesregierung im Zuge der Corona-Pandemie kritisiert. Wo es an allem fehlt, fallen alle Tabus. Was sonst nicht ging, weil es nicht durchsetzbar gewesen wäre, wird plötzlich möglich, im Handumdrehen. Kirchhof nennt das Vorgehen Trittbrettfahren" und er sieht es umgesetzt bei der Schuldenbremse, die "in einem Maße gelockert wird, wie es nicht nötig wäre".

Doch warum auch nicht? Gelegenheit macht Diebe, der gesellschaftliche Ausnahmezustand erlaubt ein Krisenregiment wie sonst nur der Krieg. So sehr die Große Koalition mit dem Bild hadert, das sie in der Seuchenbekämpfung abgibt, und so sehr sie die einbrechenden Umfrageergebnisse beklagt, so entschlossen werden Pflöcke für die Ewigkeit eingeschlagen. Klimapolitik, Energieumbau, Ausbau des Überwachungsstaates, Befriedigung der Wünsche der eigenen Lobbygruppen - es würden "Hilfsfonds in Größenordnungen geschaffen, die man nicht benötigt", klagt Ferdinand Kirchhof, dem schwant, dass es ein Zurück in normale Schuldenzeiten nach Corona so wenig geben wird wie es ein Ende der Nullzinspolitik gab, als die Finanzkrise beendet war.

Zeichen auf Ewigkeit

Alle Zeichen stehen auf Ewigkeit. Es werden Leitplanken gezogen, die lange bleiben werden. Das Grüne, das Despotische, das Hasserfüllte allem gegenüber, was andere Ansichten äußert, im Schatten der Seuche scheint es schon völlig normal. Medial existiert neben Corona nichts mehr, alle Aufmerksamkeit, die ein lockdown-wundes Volk noch aufzubringen in der Lage ist, wird vom Virus absorbiert. Nichts bleibt mehr für Überwachung, EU-Schulden oder den noch vor einem Jahr so euphorisch gefeierten EU-Aufbaufonds, mit dem die Lasten der aktuellen Krise künftigen Generationen übergeholfen werden. Die "pandemische Lage von nationaler Tragweite" erweist sich als demokratisches und mediales Koma von historischer Dimension: So viele Weichen, wie im Augenblick gestellt werden, wird niemand jemals mehr zurückstellen können.

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Ich bin sehr unzufrieden mit der Art und Weise, wie die Politik auf Corona reagiert, oder - wenn Du recht hast - mithilfe der Pandemie durchregiert. Habe Deinen Text extra drei Mal durchgelesen, um nichts Unangemessenes zu unterstützen. Aber ich glaube, ich kann das mehr oder weniger unterschreiben. Die einzige Stelle, die mir nicht gefällt, ist:

Das Grüne, das Despotische, das Hasserfüllte

OK, ich habe in der jetzigen Krise auch gelernt, dass die Grünen nicht die Heilsbringer sind, für die man sie vielleicht halten konnte. Jedenfalls stehen sie nach allem, was wir jetzt erlebt haben, nicht gerade für Freiheit. Das habe ich übrigens bitter im persönlichen Kontakt mit Leuten erfahren, die ich für Freunde gehalten habe und die sich nicht entblöden, abendliche Ausgangssperren zu rechtfertigen. Aber das Wort "hasserfüllt" geht mir zu weit. Ich würde sagen, "verblendet" oder "von Angst gelähmt".

Aber wenn man von dieser einen Stelle absieht, stimme ich mit Dir überein. Insbesondere die Aussichtslosigkeit: Wie, bitteschön, sollen wir denn aus dieser Nummer jemals wieder rauskommen? Jedenfalls nicht einfach so, als ob nichts gewesen wäre. Das ist deprimierend.

Keiner weiß es. Leider. Ich habe auch nicht "die Grünen" geschrieben, sondern "das Grüne", mit Bedacht, denn es ist nicht an mir, das Despotische und Hasserfüllte zu bedienen und Leute gegen Leute aufzubringen. Gewiss ist die Formulierung streitbar, aber vom Gesamtgehalt würde ich in dieser Form an ihr festhalten.