Die Blümeranz und ihre weitreichenden Folgen
... oder, wie war das mit Jesus Christus
vielleicht aber doch lieber
Das gescheiterte Experiment
Liebe Frau Gruben-Steiger.
die Anhäufung sprachlicher Ausgrabungen, mit der Sie, junge Frau, mich am frühen Sonntagmittag konfrontieren, taugt nicht zum Appetitverderber (wie sie vielleicht erhofft hatten), stattdessen lege ich kurz die Kotze zur Seite und wende mich dem zu, was Sie, in Ihrer Wortgräber-Besessenheit, fast achtlos in den Text einbauen, mir aber damit einen weiteren kirchlichen Feiertag bescheren könnten.
Denn Ihr Wissen darüber, dass Jesus Christus von 1793 bis 1801 in Deutschland tätig war, stellt alles in den Schatten, was über die Herstellung und Verwendung von Kotze bis zum heutigen Tag bekannt ist. Ich bitte um die Vorlage einer damals gültigen Arbeitserlaubnis von Herrn Christus und dessen Lohnsteuerkarte, falls der Mann Interesse an einer Lohnsteuer-Rückvergütung hegt.
Weil damit der Bürokratie und der Wiederauferstehung die Aufmerksamkeit geschenkt wurde, nach der sie seit ihrer Erfindung gieren, kann ich mich nun entspannt dem zuwenden, was Sie mit Ihrer Grubenlampe bereits ausführlich beleuchtet haben.
Und doch bleibt die Detailarbeit wieder an mir hängen. Dies mag am groben Stoff meiner Kotze liegen, spielt aber auch nur eine unwesentliche Rolle, da Details und Erbrochenes erst der unausrottbaren Blümeranz weichen muss.
Die alltägliche Blümeranz war im Haus meiner Urgroßmutter ein immer gern gesehener Gast. Es mag damit im Zusammenhang stehen, da dieses Haus nie leer war. Zeitweise behaupteten in diesem riesigen Bauernhaus bis zu 20 Personen dort zuhause zu sein. Alle kannten sich mit Vor- und Nachnamen und versicherten jedem, der es nicht glauben wollte, zur gleichen Familie zu gehören. Heute würde man sagen: Ein tägliches Jäps & Trallala. Damals nannten sie es Familienleben.
Jetzt mögen Sie sich fragen, was das mit blümerant, bächeln, kotze und mir zu tun hatte?
Die Frage sei Ihnen gestattet, da der August sich bereits seinem Ende nähert und noch genügend ungenutzte Fragen im Regal liegen.
Mir hatte man in dem ganzen Trubel die Rolle der Ameise zugedacht. Nicht wegen derer Emsigkeit, sondern wegen meiner Körpergröße. Ich war der Jüngste, der Kleinste und der, der überall hingeschoben werden konnte. Am liebsten zu Uroma auf den Schoß, die mir ständig mit ihrem Schnurrbart Küsse aufdrückte und mir erzählte, ohne das ich danach fragte, was sich im Haus so tat, von was ich nichts verstand und was sie tierisch nervte.
Während diesen Berichten zur Lage der Großfamilie fiel dann auch immer wieder mal das Wort blümerant. Und das meist, wenn jemand im Stall oder auf dem Feld vermisst wurde. Dann wurde stets Uroma gefragt, denn nur sie hatte den Überblick.
“Oma, wo treibt sich Doris rum?”
“Die kann gerade nicht, der ist ganz blümerant.”
Da brauchte es auch keiner weiteren Erklärung an den Fragesteller. Jeder schien Bescheid zu wissen - außer der Ameise!
Doch kaum brachte Uroma die Blümeranz ins Spiel, legte die, die davon betroffen war, sofort an Gewicht zu. Und das über mehrere Monate!
Ab und zu wurde es auch Männern blümerant. Und das meist nach Festen, bei denen der Musikverein auftrat oder nach der wöchentlichen Probe des Musikvereins. Denn mit der Tuba, der Posaune und der Klarinette brachten mein Opa und dessen Söhne meist auch noch einen ausgewachsenen Rausch mit nach hause. Auf den Rausch folgenden meist der Kater und die Blümeranz, der man sich aber kopfüber entledigte und wohl somit einer mehrmonatigen Gewichtszunahme aus dem Weg ging.
Bevor ich nun den Vorhang auf der Bühne der Großfamilie wieder herablasse, möchte ich Ihnen jedoch noch die Erklärung für das Bächeln liefern, die ich nicht der Uroma, sondern einem ihrer Söhne zu verdanken habe.
Die Aufklärung erfolgte im feuchten, kalten Kellergewölbe, wo die Kartoffeln, das Sauerkraut und das Gurkenfass standen. Jedenfalls lamentierte ich irgendwann beim Aussortieren der Saatkartoffeln über meine zu erfrieren drohenden Finger. Daraufhin wurde mir folgender Rat erteilt: Geh hoch und pinkele dir über die Finger. Das hilft. So haben wir das im Krieg immer gemacht.
Ich dachte mir, wenn der Mann mit Kriegserfahrung mir das sagt, dann muss es wohl stimmen.
Es war einer der ersten Momente, als ich bemerkte, dass meine Mutter mich nicht wirklich liebt. Denn ich verließ den Keller, ging in die Küche, in der meine Uroma und meine Mama saßen und informierte beide über das, was ich gerade gelernt und jetzt in die Tat umzusetzen gedenke.
Warum müssen Mütter immer so laut schreien, wenn sie anderer Meinung als ihr eigener Nachwuchs sind?